Gefährliche Chemotherapie: Tödliches Zusammenwirken von 5-FU und Zostex

Im Jahr 2009 trug sich folgender Sachverhalt zu: Bei der zu jenem Zeitpunkt 78-jährigen Patientin war drei Jahre zuvor ein Kolonkarzinom erstdiagnostiziert und neben mehreren Operationen auch mit Chemotherapien behandelt worden. Im März 2009 wurde die Indikation für eine weitere Chemotherapie gestellt, weil man neue Lymphknotenpakete gefunden hatte. Die für Ende März 2009 vorgesehene Chemotherapie nach dem Folfiri-Protokoll mit intravenöser Gabe von Irinotecan und 5-Fluorouracil (5-FU) wurde aber zunächst wegen eines zostertypischen Ekzanthems (Herpes) am Rücken verschoben. Wegen der Herpes-Erkrankung erhielt die Patientin u. a. sieben Tabletten Zostex mit dem Wirkstoff Brivudin, die sie zuhause einnahm. Diese Therapie war am 01.04.2009 beendet. In einer hämatologisch-onkologischen Praxis erhielt die Patientin sodann am 07.04.2009 die Chemotherapie nach dem Folfiri-Protokoll. Am 09.04.2009 wurde sie stationär in einem Gütersloher Krankenhaus bei zunehmender Allgemeinzustands-Verschlechterung mit Übelkeit und Diarrhöen (Durchfällen) sowie Schmerzen im Mundbereich aufgenommen. Im weiteren Verlauf entstand eine Leukopenie (pathologische Verminderung der Leukozytenzahl), eine weitere Verschlechterung des Allgemeinzustands, eine zunehmende Mucositis (Mundschleimhautentzündung) und ein bedrohliches Ansteigen der Kreatininwerte (ein Nierenwert). Bei dann auch eintretender Hypotonie (niedriger Blutdruck) und ansteigenden CRP-Werten (Entzündungswerte) verstarb die Patientin am 17.04.2009 an einer Asystolie (Herz-Kreislauf-Stillstand).

Der von der Krankenkasse eingeschaltete medizinische Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Verabreichung der Chemotherapie kurz nach Einnahme von Zostex grob fehlerhaft ist. Das Präparat Zostex ist seit dem Jahr 2001 auch für die Behandlung von Herpes zoster bei immunkompetenten Erwachsenen zugelassen, die Metaboliten (Abbauprodukte) des Präparats hemmen aber im menschlichen Körper das Enzym Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) irreversibel. Dieses Enzym wird benötigt, um u. a. Pyrimidin-Derivate (wie 5-FU) abzubauen. Die Hemmung des Enzyms DPD führt zu einer Akkumulation und verstärkten Toxizität von 5-FU. Bei einem gesunden Erwachsenen ist nach einer Behandlung mit Zostex in üblicher Dosierung die volle Funktionstüchtigkeit des Enzyms DPD erst 18 Tage nach Einnahme der letzten Tablette wiederhergestellt. Die Fachinformation des Arzneimittelherstellers enthält einen ausdrücklichen Hinweis darüber, dass Zostex und 5-FU nicht zusammen verabreicht werden dürfen. Zwischen einer Behandlung mit Zostex und dem Therapiebeginn mit 5-FU muss ein Zeitabstand von mindestens vier Wochen eingehalten werden. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sollte bei Patienten, die Zostex erhalten haben, vor einer Behandlung mit 5-FU die DPD-Enzymaktivität ermittelt werden. Auch die Fachinformation des Präparates 5-FU enthält entsprechende Warnhinweise. Im Fall einer Überdosierung von 5-FU (welche durch die gleichzeitige Zostex-Gabe im Sinne eines fehlenden Abbaus induziert wird) mit daraus resultierenden verstärkten Nebenwirkungen können zwar symptomatische Behandlungen eingeleitet werden, ein spezifisches Antidot (Gegenmittel) steht aber nicht zur Verfügung. Die Durchführung einer Chemotherapie mit 5-FU wenige Tage nach Beendigung einer Behandlung mit Zostex wird von dem medizinischen Gutachter als ein Fehler bewertet, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (Definition des sog. groben Behandlungsfehlers).

Der Sohn der verstorbenen Patientin suchte mich auf, um bei den Ärzten der hämatologisch-onkologischen Praxis Schadenersatzansprüche (u. a. Beerdigungskosten) und ein übergegangenes Schmerzensgeld seiner verstorbenen Mutter anwaltlich geltend zu machen. Mit der Gegenseite konnte im September 2012 ein außergerichtlicher Abfindungsvergleich über 20.000,-Euro geschlossen werden (Kanzlei Dr. Rosenke, Fall-Nr. 10-41/11).