Krankenhauskeime: Auskunftsklage auf Grundlage des § 23 IfSG (Update)

Im Rahmen einer Auskunftsklage vertrete ich die Witwe eines Patienten, der im Frühjahr 2009 wegen eines Blasenkarzinoms operiert werden sollte. Aus eigenem Darmmaterial sollte eine sog. Neoblase bei gleichzeitiger Tumorausräumung angelegt werden. Der Eingriff fand am 05.05.2009 statt. „In zwei Wochen sind Sie wieder zuhause“ hieß es vor der Operation. Am 16.06.2009 verstarb der Patient an Sepsis und Multiorganversagen.

Seine Ehefrau und meine Mandantin, die den körperlichen Zerfall ihres Ehemanns mitansehen musste, konnte am 09.05.2009 das letzte Mal mit ihm sprechen. Ab dem 10.05.2009 war dem Ehemann das Sprechen wegen der Schläuche in seinem Hals und wegen eines Luftröhrenschnitts bis zu seinem Tod nicht mehr möglich. Anhand der Krankenunterlagen vermute ich einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und Hygienemängeln im Krankenhaus.

Nach § 23 Infektionsschutzgesetz, welches im Jahr 2000 in Kraft getreten ist, sind die Leiter von Krankenhäusern verpflichtet, die vom Robert Koch-Institut festgelegten nosokomialen Infektionen und das Auftreten von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen fortlaufend in einer gesonderten Niederschrift aufzuzeichnen und zu bewerten. Die Gesundheitsämter können nach dem Gesetz Einsicht in diese Aufzeichnungen nehmen.

In der amtlichen Begründung zu § 23 Infektionsschutzgesetz heißt es, dass eine Prävalenzstudie 1995 zu einem Stichtag eine Rate von 3,5 % nosokomialer Infektionen in den an der Studie teilnehmenden Krankenhäusern ermittelte. Da zu jenem Zeitpunkt jährlich 15 Millionen Menschen in Krankenhäusern behandelt wurden, ist daraus eine Betroffenenquote von mehr als 525.000 Patienten ermittelt worden (noch keine Unterteilung in vermeidbare und nicht vermeidbare Infektionen). Neuere Zahlen (2010) gehen von etwa 400.000 bis 600.000 nosokomialen Infektionen pro Jahr aus (nur in deutschen Krankenhäusern / niedergelassene Ärzte ausgenommen), von denen angenommen wird, dass etwa 80.000 bis 180.000 potentiell vermeidbar sind. Es wird vermutet, dass ca. 1.500 bis 4.500 vermeidbare Todesfälle aufgrund einer nosokomialen Infektion pro Jahr auftreten (allein in Krankenhäusern).

Unter einer nosokomialen Infektion versteht man eine Infektion, die sich im Krankenhaus entwickelt, also bei Aufnahme in das Krankenhaus weder vorhanden noch in Inkubation war.

Für die Charakterisierung einer Infektion als nosokomial ist also allein der zeitliche Aspekt entscheidend. Weiterhin unterscheidet man in endogene nosokomiale Infektionen (die Ursache liegt im Patienten selbst) und in exogene nosokomiale Infektionen. Die medizinische Wissenschaft geht davon aus, dass Infektionen, die ihren Ursprung in exogenen Erregern haben, generell vermieden werden können.

Das Interessante ist, dass Mikrobiologen und Hygieniker ermitteln können, ob ein bestimmter Erreger genotypisch identisch ist mit einem Stamm, der zum Beispiel zuvor bei einem anderen Patienten entdeckt wurde. Wenn die Kliniken also die gesetzliche Verpflichtung nach § 23 Infektionsschutzgesetz ernst nehmen, können sie solche zeitlichen und räumlichen Koinzidenzen feststellen und müssen daraus die entsprechenden Bewertungen ziehen.

Die Aufzeichnungen nach dem Infektionsschutzgesetz würden es einem von einer nosokomialen Infektion betroffenen Patienten, der sachverständig beraten ist, also ermöglichen, den Nachweis einer exogen verursachten Infektion zu führen, so sie denn tatsächlich vorlag.

Ich habe für die Witwe des verstorbenen Patienten vor dem Landgericht Bielefeld Auskunftsklage auf Grundlage des § 23 Infektionsschutzgesetz erhoben. Ziel ist, Einsicht in die Niederschriften der Klinik nehmen zu können, um – sachverständig beraten – überprüfen zu können, ob die zahlreichen Keime, von denen der Patient befallen war, eine endogene oder exogene Ursache hatten. Das Landgericht Bielefeld hat die Klage abgewiesen, weil nur ein Anspruch für das Gesundheitsamt bestehe und eine entsprechende Anwendung für den Patienten nicht in Betracht komme (LG Bielefeld 4 O 341/10).

Dies ist eine bislang ungeklärte Rechtsfrage und der Fall hat nach meinem Dafürhalten präjudizielle Wirkung für unzählige weitere Betroffene in ganz Deutschland. Ich habe für meine Mandantin Berufung zum Oberlandesgericht Hamm eingelegt (OLG Hamm I-26 U 192/10, noch nicht entschieden).

Tatsache ist, dass sich immer weniger Patienten mit den „Hochglanzbroschüren“ der Krankenhäuser, in denen die Einhaltung der Krankenhaushygiene auf ständig neuestem wissenschaftlichen Stand versprochen wird, zufrieden geben.

Tatsache ist weiterhin, dass bereits andere Patientenanwälte ebenfalls schon versuchen, an die Daten nach § 23 Infektionsschutzgesetz heranzukommen, wenn auch nicht im Rahmen einer (isolierten) Auskunftsklage. Diese Entwicklung lässt sich meines Erachtens nicht mehr aufhalten. Die Gerichte müssen entscheiden, ob sie dem geschädigten Patienten bereits vorprozessual ein entsprechendes Einsichtsrecht einräumen wollen, damit der Patient mit dem Klinikträger auf gleicher Augenhöhe verhandeln kann, oder ob erst – wenn überhaupt – im Rahmen der Schmerzensgeldprozesse die Unterlagen auf den Tisch kommen und erst dann der Patient erfahren soll, wie es um die hygienische und infektiologische Situation der Station bestellt war, auf der er sich befand.

Update vom 22.05.2012:

Mit Urteil vom 05.04.2011 hat das Oberlandesgericht Hamm die Auskunftsklage abgewiesen (26 U 192/10). Da es die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zuließ, wurde durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Darin wird ausgeführt, dass es sich um eine zur grundsätzlichen Klärung bedeutsame Frage handelt, ob nämlich dem Patienten ein Einsichtsrecht in die Niederschrift nach § 23 IfSG und in die Erregerstatistik zusteht. Die höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfrage ist in erheblichem Maße praktisch bedeutsam. Die jährliche nosokomiale, also krankenhausbezogene Gesamtinfektionsrate wird auf bis zu 3,5 % der in deutschen Krankenhäusern behandelten Patienten geschätzt. Weiterhin ist darin nachzulesen, dass dem Krankenhausträger fraglos ein Rückgriff auf die Niederschriften nach § 23 I IfSG erlaubt ist, es sodann aber die Waffengleichheit der Parteien gebietet, den Patienten gleichfalls Zugriff auf die Datensätze zu gestatten. Das Bundesverfassungsgericht betont die Bedeutung dieses verfassungsrechtlichen Prinzips des fairen, der Rechtsanwendungsgleichheit Rechnung tragenden Gerichtsverfahrens, gerade für den Arzthaftungsprozess. Gleichfalls hat die Beschwerdeschrift dargetan, dass die Pflicht zur kontinuierlichen Überwachung und Dokumentation von krankenhausbezogenen Infektionserkrankungen nach § 23 IfSG einen medizinischen Standard begründet. Die Datenerhebung und Sammlung ist kein bloßer Selbstzweck, ihr sollen sich vielmehr therapeutische Konsequenzen zum Wohle des Patienten anschließen. Trotz dieser Erwägungen hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14.02.2012 (VI ZR 129/11) die Nichtzulassungsbeschwerde ohne inhaltliche Begründung zurückgewiesen. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wurde verneint.

Dies halte ich für nicht nachvollziehbar. Bei einer solch hohen Betroffenenquote halte ich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache für gegeben. In Zeiten, in denen sich Rechts- und insbesondere Gesundheitspolitiker Transparenz auf die Fahnen schreiben, zementiert der Bundesgerichtshof die Waffenungleichheit zwischen Arzt- und Patientenseite. Gerade dort, wo der Verdacht auf ärztliche Behandlungsfehler und die Verletzung von Hygieneschutzvorschriften im Raum steht, wäre ein klares Signal wünschenswert gewesen, zumal mit der Erfassung und Bewertung nosokomialer Infektionen der medizinische Behandlungsstandard mitdefiniert wird.

Mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.02.2012 ist das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 05.04.2011 in Rechtskraft erwachsen, der Rechtsweg ist erschöpft. So verbleibt es, an Betroffene und deren Rechtsanwälte zu appellieren, im Rahmen von Schmerzensgeldprozessen die Beiziehung der Niederschriften gemäß § 23 I IfSG zu beantragen und sie auf diesem Wege zum Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung zu machen, sofern es auch um die Verletzung von Hygienestandards geht.