Ärztliche Behandlungsfehler

Was können Versicherte tun?

Von einem kleinen, harmlosen operativen Eingriff war die Rede, als der 18-jährige Patrick H. im Oktober 2005 wegen seines Trommelfelldefektes eine Klinik aufsuchte. Kurz vor Ende der Operation kam es zu einem Herzstillstand.

Patrick H. musste reanimiert werden. Sein Herz begann jedoch erst sehr spät wieder zu schlagen. Seitdem ist er an den Rollstuhl gefesselt, kann sich nicht selbst versorgen und wird über eine Magensonde ernährt. Sein Gehirn ist aufgrund der Sauerstoffunterversorgung schwer geschädigt.

Die Familie von Patrick wandte sich in ihrer Not auch an die Heimat Krankenkasse. Schnell kam der Verdacht auf, dass bei der Trommelfelloperation nicht fachgerecht vorgegangen worden war. Das Gutachten eines eingeschalteten Facharztes für Anästhesie bestätigte: Während der Narkose waren zu viele und zu hoch dosierte Medikamente verabreicht worden. Ein nicht mehr übliches Verfahren der Blutdrucksenkung hatte das Risiko für den Herzstillstand noch weiter erhöht. Darüber hinaus stellte der Gutachter massive organisatorische Mängel fest: So wurde die Narkose nicht etwa durchgehend von einem Facharzt für Anästhesie geleitet, sondern zum Großteil von einem Krankenpfleger, einem sogenannten medizinischen Assistenten für Anästhesie, durchgeführt. Mit diesem Gutachten zog die Heimat Krankenkasse vor Gericht. Nach einem 1,5 Jahre dauernden Rechtsstreit konnten sich die Parteien schließlich auf eine Abfindungszahlung in Höhe von 990.000 Euro einigen.

Wir unterstützen auch Sie

Versicherte der Heimat Krankenkasse können sich bei einem Verdacht auf ärztliche Behandlungsfehler direkt an unser erfahrenes Fachteam wenden. In einem  persönlichen Gespräch oder Telefonat können Sie bei uns bereits vor Einschaltung eines Rechtsanwaltes oder Gutachters eine erste fachliche Stellungnahme einholen. Sollten sich in diesem Gespräch Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers bestätigen, haben wir als gesetzliche Krankenkasse die Möglichkeit, auf den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zurückzugreifen. Dieser kann zum einen die entsprechenden persönlichen und ärztlichen Unterlagen überprüfen und zum anderen das erforderliche Gutachten erstellen.

Interview mit Dr. Marion Rosenke, Fachanwältin für Medizinrecht

Frau Dr. Rosenke "wie soll man sich als Patient verhalten" wenn man den Verdacht hat, dass im Krankenhaus oder bei einem Arzt etwas schiefgelaufen ist?

Ganz wichtig ist die Sicherung von Unterlagen. Lassen Sie sich in einem solchen Fall die Patientenakte aushändigen. Darauf haben Sie einen höchstrichterlich anerkannten Anspruch. Lassen Sie sich also auf keinen Fall "abwimmeln". Die Einsichtnahme in die Patientenakte kann vor Ort erfolgen oder - vorzugsweise - durch Überlassen von Kopien gegen Kostenerstattung.

Kann man sicher sein, dass in der Patientenakte alle wichtigen Dinge enthalten sind?

Im Prinzip müssen alle für das Behandlungsgeschehen wichtigen Maßnahmen und Untersuchungen, Laborergebnisse, Differenzialdiagnosen oder auch wichtige Hinweise an den Patienten etc. dokumentiert werden. Häufig jedoch weisen Krankenakten Dokumentationslücken auf. In jedem Fall rate ich allen Betroffenen, für jeden Tag gesondert ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, in dem - aus Sicht des Patienten - Besonderheiten und Auffälligkeiten schriftlich festgehalten werden. Auch sollten Gespräche mit Ärzten und Pflegepersonal unter Angabe der Uhrzeit protokolliert werden.

Wann spricht man eigentlich von einem Behandlungsfehler?

Der Arzt schuldet dem Patienten eine Behandlung nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes zum Zeitpunkt der Behandlung. Wenn also ein Arzt von diesem Facharztstandard abweicht und z.B. eine veraltete, nicht mehr übliche Methode am Patienten anwendet spricht man von einem ärztlichen Behandlungsfehler. Auch eine fehlerhafte, unrichtige oder unvollständige Aufklärung über medizinische Eingriffe und ihre Risiken kann wie ein ärztlicher Behandlungsfehler zu einer Haftung des Arztes führen. Dokumentationsmängel führen in aller Regel zu einer Beweiserleichterung zugunsten des Patienten.

Wenn man alle Unterlagen zusammengetragen hat und ein positives Gutachten vorliegt, mit dem ein ärztlicher Behandlungsfehler festgestellt wird, wie geht es dann weiter?

Damit ist die Grundlage geschaffen, um bei der Versicherung des betroffenen Arztes/Krankenhauses Ansprüche anzumelden. Ich würde für diesen Schritt jedem Betroffenen empfehlen, einen Fachanwalt für Medizinrecht aufzusuchen, der ausschließlich die Patientenseite vertritt. Aller Erfahrung nach ist die Bezifferung von Ansprüchen, z.B. Höhe des Schmerzensgeldes, für rechtlich unkundige Personen nämlich eher schwierig.

Wie lange dauert in der Regel ein Verfahren und wie hoch sind die Erfolgsaussichten?

Ein Gerichtsverfahren dauert in der ersten Instanz in der Regel gut 1,5 Jahre. Wenn bereits ein positives Gutachten vorliegt - zum Beispiel von einem Privatsachverständigen - ,sind die Erfolgsaussichten meistens sehr gut.