Prozess um Darmspiegelung

Mediziner aus dem Kreis Gütersloh weist Patienten nicht auf Früherkennung hin

Von Christian Althoff, Gütersloh (WB ). Nach einem vier Jahre dauernden Rechtsstreit muss ein Hausarzt aus dem Kreis Gütersloh 80 000 Euro an die Witwe eines Patienten zahlen.Der Mann war mit 67 Jahren an Darmkrebs gestorben. Er hatte noch zu Lebzeiten eine Mitschuld bei seinem Hausarzt gesehen und ihn verklagt, das Ende des Prozesses erlebte der Patient aber nicht mehr. Die Vorgeschichte ist bis heute umstritten. Der Patient hatte damals angegeben, er habe 2007 seinen Hausarzt mit starken Schmerzen an der unteren Wirbelsäule aufgesucht. Nach einem CT habe der Arzt drei Bandscheibenvorfälle als Ursache benannt, was er, der Patient, jedoch nicht geglaubt habe. Seine Anwältin Dr. Marion Rosenke aus Halle: »Der Mann hatte vorher schon Bandscheibenvorfälle und kannte die Schmerzen, die aber ganz anders waren.« Der Kranke behauptete in seiner Klage, er habe damals eine Darmspiegelung gefordert, aber der Hausarzt habe ihn stattdessen wegen der Bandscheibenvorfälle zur Reha geschickt.

Ein Jahr später begleitete der Mann seine Frau zu deren Ärztin. Als diese sah, dass der 64-Jährige erheblich abgenommen hatte, nämlich 16 Kilogramm in zwei Monaten, riet sie ihm mit Nachdruck zu einer Darmspiegelung. Anwältin Dr . Marion Rosenke: »Dabei wurde Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium festgestellt. Es hatten sich bereits Metastasen in der Lunge gebildet.«

Der Mann unterzog sich etlichen Operationen. Weil er meinte, das Verhalten des Hausarztes habe ihn wertvolle Zeit gekostet, reichte er 2009 beim Landgericht Bielefeld Klage gegen den Mediziner ein. Der argumentierte, eine Darmspiegelung sei nie Thema gewesen, der Patient habe ihn nie um eine entsprechende Überweisung gebeten. 2012, da war der Kläger bereits gestorben, wies die 4. Zivilkammer die Klage ab. Dr. Marion Rosenke: »Und zwar mit der abstrusen Begründung, mein Mandant hätte die Darmspiegelung wahrscheinlich ohnehin nicht machen lassen.«

Die Witwe brachte den Fall vors Oberlandesgericht Hamm. Dort waren die Richter der Meinung, dass es auf die strittige Frage, ob der Patient um eine Darmspiegelung gebeten habe, überhaupt nicht ankomme. Vielmehr sei jeder Hausarzt verpflichtet, Patienten, die 55 Jahre oder älter seien, auf die Darmkrebsvorsorge hinzuweisen - und zwar ungefragt. Tue ein Arzt das nicht, handele er fehlerhaft. Daraufhin schlossen die Versicherung des Hausarztes und die Witwe jetzt einen Vergleich. Die Frau bekommt 80 000 Euro, womit alle Ansprüche abgegolten sind.Dr. Wilhelm Brühl, Gründer und Ärztlicher Direktor der Darmklinik in Vlotho-Exter, wirbt eindringlich für die Vorsorgeuntersuchung. .»Darmkrebs ist der einzige Krebs, den man verhindern kann.« Denn als Vorstufe der Tumoren bildeten sich Polypen im Darm, die sich schmerzfrei entfernen ließen. »Aber nur ein Drittel der Menschen in dem entsprechenden Alter lässt eine Darmspiegelung machen. Deshalb sterben bei uns jedes Jahr 25 000 Menschen - eine ganze Kleinstadt!«

Angst vor der Untersuchung sei unbegründet, sagt der Klinik- Leiter. »Man trinkt nachmittags zwei Liter eines Abführmittels, das heutzutage nach Zitrone schmeckt. Am nächsten Morgen geht man zur Darmspiegelung.«

Der Patient lege sich auf den Rücken und bekomme eine Spritze, die ihn vor sich hindämmernlasse. Dann führe der Arzt das sogenannte Koloskop ein – einen etwa 1,2 Meter langen, fingerdicken Schlauch, der vorne eine Kameralinse mit Licht hat, und aus dem sich Instrumente ausfahren lassen. Dr. Brühl: »Wenn der Schlauch eingeführt ist, wird er sehr langsam zurückgezogen. Der Arzt blickt hinter jede Falte des Darms, um nach Polypen zu suchen. Sie werden mit einer elektrischen Schlinge abgetrennt und verödet. Weil man dort keine Nerven hat, spürt man auch keinen Schmerz.« Die gesamte Untersuchung dauere nur 15 Minuten.Risikopatienten rät der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, nicht bis zum 55. Geburtstag zu warten. »Zu der Gruppe zählen Diabetiker, Menschen mit Übergewicht oder familiärer Vorbelastung und Frauen mit gynäkologischen Tumoren.«