40.000€ Schmerzensgeld für ein taubes Ohr

Mein im Sommer 2005 58-jähriger Mandant verspürte an einem Sonntag starke Ohrenschmerzen, die im Laufe des Tages so heftig wurden, dass er sich noch an demselben Tag bei einem Notarzt in Bielefeld vorstellte. Dieser diagnostizierte eine chronische Mittelohrentzündung, ein Loch im Trommelfell und äußerte den Verdacht auf Knochenfraß.

Er hielt eine Operation für unumgänglich und empfahl dem Patienten ein Krankenhaus in Osnabrück. Dort wurde mein Mandant stationär aufgenommen und es kam im September 2005 zu einem operativen Eingriff in Form einer Tympanoplastik mit Paukendrainage. Nach der Operation äußerte der Patient Schmerzen, vor allen Dingen aber erhebliche Gleichgewichtsprobleme und starken Schwindel, dies vor allem beim Laufen. Der Operateur nahm sich von diesen Beschwerden zunächst nichts an, erwog dann aber am fünften postoperativen Tag doch einen Revisionseingriff, den er am sechsten postoperativen Tag durchführte. Es handelte sich um eine Mastoidektomie am linken Ohr.

Im Anschluss daran persistierten jedoch der starke Schwindel und die starken Gleichgewichtsprobleme. Es trat eine herauslaufende Flüssigkeit aus dem operierten Ohr (sog. Otorrhoe) hinzu, was den Operateur veranlasste, einen Abstrich zu nehmen. Es stellte sich der Befall des Ohres mit dem Keim Pseudomonas aeruginosa heraus. Hiergegen erhielt der Patient sodann Antibiotika, wobei es zwischen den Parteien des später geführten Rechtsstreits streitig war, ob die Antibiose den Regeln der ärztlichen Heilkunde entsprach oder nicht. Wie sich erst später, zumindest aus Sicht meines Mandanten, herausstellte, war das linke Ohr bereits vier Tage nach der ersten Operation ertaubt.

Er suchte mich im Juli 2006 auf, weil er die Frage nach dem Vorliegen ärztlicher Behandlungsfehler überprüfen lassen wollte. Es kam zunächst zu einer Gutachtenerstattung durch einen Privatsachverständigen, der mehrere ärztliche Behandlungsfehler feststellte, u. a. eine fehlerhafte Nichtreaktion auf eine HNO-diagnostische Untersuchungsmaßnahme nach der ersten Operation (sog. Lateralisation des Weber’schen Versuchs in das nicht operierte Ohr). Auf Grundlage dieses Gutachtens wurde die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses angeschrieben und zum Eintritt in die Regulierungsverhandlungen aufgefordert.

Da sie jedoch eine Haftung für ärztliche Behandlungsfehler ablehnte, erhob ich im Juni 2007 beim Landgericht Osnabrück Klage für meinen Mandanten. Primär wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von € 50.000,- für die operationsbedingte Ertaubung des linken Ohrs geltend gemacht. Das Landgericht Osnabrück holte ein gerichtliches Gutachten ein. Der gerichtliche Sachverständige konnte im Gegensatz zu dem Privatsachverständigen des Klägers keine ärztlichen Behandlungsfehler feststellen, weshalb das Landgericht Osnabrück die Klage abwies (LG Osnabrück, 2 O 1306/07). Gegen dieses Urteil legte ich im Oktober 2008 für meinen Mandanten Berufung beim Oberlandesgericht Oldenburg ein.

Dieses hörte zunächst den erstinstanzlichen gerichtlichen Sachverständigen an, entpflichtete diesen jedoch, da dieser sich in Widersprüche verwickelte. Das Oberlandesgericht Oldenburg beauftragte sodann eine Professorin der MHH, welche mehrere schriftliche Gutachten erstattete und mehrfach mündlich zu dem Behandlungsgeschehen des Klägers angehört wurde. Mit Urteil vom 02.03.2011 sprach das Oberlandesgericht Oldenburg meinem Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von € 40.000,- zu und stellte außerdem fest, dass das beklagte Krankenhaus sowie der Operateur verpflichtet sind, meinem Mandanten vergangenen und künftigen materiellen Schaden aufgrund der fehlerhaften ohrenärztlichen Behandlung zu ersetzen.

Maßgeblich für dieses Urteil war der Umstand, dass der sog. Weber’sche Versuch in das rechte, nicht operierte Ohr lateralisierte, was auf eine neu aufgetretene massive Innenohrschädigung links hindeutete. Als deren Ursache kam u. a. eine Infektion unter Beteiligung des Leitkeims Pseudomonas aeruginosa in Betracht. In jener Situation hätten mehrere Möglichkeiten für eine ärztliche Reaktion zur Verfügung gestanden, u. a. die Durchführung einer sofortigen Revisionsoperation. Des Weiteren hätte ein Vorgehen nach dem Stennert-Schema (d. h. hochdosiertes Kortison und durchblutungsfördernde Therapie) als auch eine gezielte Antibiose in Erwägung gezogen werden können, nicht jedoch lediglich die Verabreichung des gegen den Leitkeim Pseudomonas aeruginosa nicht wirksamen Cefuroxims, wie vorliegend geschehen.

Dass der Operateur keine dieser drei Maßnahmen ergriffen habe, stelle sich aus medizinischer Sicht als fehlerhaft dar. Gleichzeitig bewertete das Oberlandesgericht Oldenburg diese Versäumnisse als groben ärztlichen Behandlungsfehler. Dementsprechend kam es zu einer Umkehr der Beweislast für die Kausalität zwischen dem ärztlichen Behandlungsfehler und dem Eintritt des Gesundheitsschadens. Die Unaufklärbarkeit, ob es bei einem Handeln lege artis, also entsprechend der zu erwartenden ärztlichen Heilkunde, nicht zu einer Ertaubung des linkes Ohrs gekommen wäre, lag somit bei der Beklagtenseite. Da sie diesen Beweis nicht erbringen konnte, sprach das Oberlandesgericht Oldenburg meinem Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von € 40.000,- zu. Insbesondere bejahte das Gericht die für eine Beweislastumkehr weiter erforderliche generelle Eignung des groben Behandlungsfehlers zur Herbeiführung des betreffenden Körper- und Gesundheitsschadens. Insbesondere ließen die getroffenen medizinischen Feststellungen nicht die Aussage zu, dass unter den konkreten Umständen jeglicher haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich war.

Für die Bemessung des Schmerzensgelds in Höhe von € 40.000,- war maßgeblich, dass der Kläger durch den eingetretenen Primärschaden, also die irreparable Ertaubung auf dem linken Ohr, erheblich in seiner Lebensführung und Lebensqualität beeinträchtigt ist. Nachvollziehbar war auch die Sorge, dass sich bei einer Verschlechterung der Funktionsfähigkeit des rechten Ohrs eine vollständige Taubheit einstellen könnte. Hinzu trat der Umstand, dass dem Kläger ohne den Behandlungsfehler eine Revisionsoperation erspart geblieben wäre. Der Feststellungsantrag war zuzubilligen, weil es um die Verletzung eines absoluten Rechtsguts geht, wobei ausreichend ist, wenn künftige Schadenfolgen möglich, ihre Art und ihr Umfang, ja sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (OLG Oldenburg, 5 U 154/08). Aufgrund der langen Prozessdauer und der damit einhergehenden Verzugszinsen erhielt mein Mandant nicht nur € 40.000,- ausgezahlt, sondern inklusive Zinsen einen Betrag in Höhe von über € 50.000,-.