Rechtswidrige Cyclophotokoagulation in niedersächsischer Augenklinik: Patientin erhält
36.000,- Euro Schmerzensgeld

Meine im Jahr 1938 geborene Mandantin litt seit Jahren an Grünem Star (Glaukomen) an beiden Augen, was mit Medikamenten und auch schon einmal operativ (Goniotrepanation) behandelt worden war. Nachdem die Wirkung der Goniotrepanation nachgelassen hatte, stellte sie sich mit Überweisung ihres Haus-Augenarztes im September 2007 in einer niedersächsischen Augenklinik vor, wo man ihr einen operativen Eingriff in Form einer Cyclophotokoagulation empfahl. Mit einer solchen unblutigen Lasertherapie könne der Augendruck gesenkt werden Die ausdrückliche Nachfrage meiner Mandantin, ob sie im Vorfeld ASS absetzen müsse, verneinte man in der Augenklinik. Die an den Haus-Augenarzt gerichtete Frage, ob man nicht die Goniotrepanation, welche ja schon einmal erfolgreich verlaufen war, wiederholen könne, verneinte dieser.

In der Folgezeit kam es zu mehreren Cyclophotokoagulationen an beiden Augen, und zwar im September 2007, im Januar 2008 und im Februar 2008. Die Wirkung am rechten Auge war jedoch unzureichend, weshalb der Haus-Augenarzt einen vierten Eingriff für das rechte Auge empfahl. Diese vierte Cyclophotokoagulation wurde in der niedersächsischen Augenklinik am 27.06.2008 vorgenommen. Direkt nach diesem Eingriff konnte meine Mandantin auf dem rechten Auge nicht mehr sehen. Es hatte sich ein Hyphaema (eine Einblutung in die Vorderkammer) gebildet und das Auge war extrem berührungs- und bewegungsempfindlich. Der Augendruck stieg rapide an, was in der Augenklinik nur medikamentös behandelt wurde. Erst auf ausdrückliche Nachfrage meiner Mandantin selbst setzte man dort am 04.07.2008 das Medikament ASS (ein "Blutverdünner") ab. Direkt nach der Entlassung am 07.07.2008 diagnostizierte der Haus-Augenarzt am 09.07.2008 eine Glaskörpereinblutung im rechten Auge. Als Dauerschaden verblieben eine Pupillenlähmung, eine starke Berührungsempfindlichkeit und ein Druckschmerz vor allem beim Bücken. Die Sehkraft hatte um 30 % abgenommen.

Im März 2009 erhob ich für meine Mandantin Klage vor dem Landgericht Osnabrück auf Zahlung eines Schmerzensgeldes (mindestens 30.000,- Euro), Zahlung eines Haushaltsführungsschadens und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden. Das Landgericht Osnabrück holte ein medizinisches Sachverständigengutachten ein und hörte die Parteien zur erhobenen Aufklärungsrüge an. Der gerichtliche Sachverständige stellte keine augenärztlichen Behandlungsfehler fest und verneinte auch ausdrücklich das Vorliegen einer für die Klägerin in Betracht gekommenen Behandlungsalternative. Dies war für die Aufklärungsrüge von Bedeutung, weil die beteiligten Augenärzte einen Hinweis auf eine echte Behandlungsalternative mit unterschiedlichen Belastungen oder unterschiedlichen Risiken und / oder Heilungschancen geschuldet hätten. Insbesondere sie die Wiederholung einer Goniotrepanation nicht möglich, so der Sachverständige. Auf Grundlage dieser sachverständigen Ausführungen wies das Landgericht Osnabrück die Klage ab. Behandlungsfehler während des Eingriffs vom 27.06.2008 oder in der unmittelbaren postoperativen Nachsorge seien nicht zu konstatieren, insbesondere habe man das ASS nicht früher oder gar vor der Operation absetzen müssen. Außerdem habe die Klägerin keinen plausiblen Entscheidungskonflikt dargetan. Der plausible Entscheidungskonflikt scheitere schon daran, dass nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen keine echte Behandlungsalternative zur Cyclophotokoagulation bestanden habe (Landgericht Osnabrück, Urteil vom 23.03.2011, 2 O 651/09).

Gegen dieses abweisende Urteil habe ich für meine Mandantin Berufung zum Oberlandesgericht Oldenburg eingelegt. Das Oberlandesgericht beauftragte den erstinstanzlichen gerichtlichen Sachverständigen mit einer ergänzenden Begutachtung und hörte ihn im Juni 2013 auch ergänzend an. Dieser wich jedoch nicht von seinen bereits bekannten Feststellungen ab, weshalb die Klage schon wieder abgewiesen zu werden drohte. Insbesondere blieb er dabei, dass es keine echte Behandlungsalternative gegeben habe und eine Goniotrepanation nicht hätte wiederholt werden können. Durch eine umfangreiche eigene Recherche konnten wir allerdings darlegen, dass es für die Klägerin noch zahlreiche andere Methoden außer der Cyclophotokoagulation gegeben hätte (u. a. Cyclokryokoagulation, Argon-Laser-Trabekuloplastik, fistulierende Eingriffe, drucksenkende Implantate, etc.), insbesondere konnten wir wissenschaftlich fundiert vortragen, dass auch die Goniotrepanation durchaus nochmals in Betracht gekommen wäre. Daraufhin beauftragte das Oberlandesgericht Oldenburg einen neuen gerichtlichen Sachverständigen, der bestätigte, dass nach drei erfolglosen Eingriffen am rechten Auge ein Hinweis an die Klägerin auf andere Behandlungsalternativen geschuldet gewesen wäre, insbesondere auf eine tiefe Sklerektomie als nicht penetrierendes Verfahren, auf die Einlage eines Shunts oder ein drucksenkendes Implantat. Dieser zweite gerichtliche Sachverständige wurde im April 2014 ergänzend mündlich befragt. Er bestätigte seine schon im schriftlichen Gutachten getroffenen Feststellungen. Zudem wies er daraufhin, dass nach der Operationsdokumentation die Cyclophotokoagulation zirkulär stattfand, was einen groben Behandlungsfehler darstellen würde, weil der Bereich zwischen 10 und 14 Uhr ausgespart werden müsse. In diesem Beweisaufnahmetermin hörte das Oberlandesgericht Oldenburg sämtliche Parteien des Rechtsstreits auch persönlich an.

Es kam zu einem dritten Beweisaufnahmetermin im September 2014, bei dem das zweitinstanzliche Gericht den Haus-Augenarzt als Zeuge vernahm. Dieser bestätigte den Vortrag der Klägerin, dass diese sich seinerzeit nach einer erneuten Goniotrepanation erkundigt hatte, er einen solchen Eingriff aber nicht für möglich gehalten und die Klägerin deshalb zur Vornahme der Cyclophotokoagulationen in die niedersächsische Augenklinik überwiesen hatte. Daraufhin erließ das Oberlandesgericht Oldenburg einen gerichtlichen Hinweis dahingehend, dass es auf Grundlage der (neuen) Sachverständigenausführungen, der Zeugenvernehmung und der Parteianhörungen von einem Aufklärungsversäumnis ausgehe und die Klägerin auch einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt habe, weil sie glaubhaft gemacht habe, dass sie sich für einen fistulierenden Eingriff, namentlich für eine erneute Goniotrepanation entschieden hätte. Daraufhin haben sich die Parteien des Rechtsstreits auf Zahlung eines Abfindungsbetrages in Höhe von 36.000,- geeinigt, sodass der Rechtsstreit Anfang des Jahres 2015 vergleichsweise beendet werden konnte (Oberlandesgericht Oldenburg, 5 U 66/11).