Medizinprodukthaftung:
Krankenkasse erhält Euro 28.300,– Schadenersatz

In einem beim Landgericht Bielefeld anhängigen Rechtsstreit
ging es um folgenden Sachverhalt:

Meine Mandantin, eine gesetzliche Krankenkasse, verlangte von einer Medizinproduktherstellerin auf Grundlage der § 1 Absatz 1 Satz 1, § 8 Produkthaftungsgesetz knapp 16.000,- Euro Schadenersatz für eine Austauschoperation eines sog. "Herzschrittmachers" (im folgenden: Defibrillator) bei einem ihrer Versicherten. Dieser litt unter einer koronaren Herzkrankheit und hatte im Dezember 2002 einen Defibrillator der Beklagten implantiert bekommen. Bei einer Kontrolle dieses Defibrillators Anfang Februar 2006 stellten die Ärzte eine Batterieerschöpfung fest und nahmen deshalb Ende Februar 2006 einen Aggregatwechsel vor. Das Krankenhaus erhielt von der Medizinproduktherstellerin eine Garantiegutschrift in Höhe von über 5.000,- Euro. Die bei der Krankenkasse entstandenen Kosten für die Austauschoperation jedoch wollte sie nicht erstatten. Im Oktober 2011 erhoben wir deshalb Klage vor dem Landgericht Bielefeld.

Da die beklagte Medizinproduktherstellerin ihren Sitz im EU-Ausland hatte und der zuvor außergerichtlich für sie tätige Rechtsanwalt die Klage nicht gegen sich zustellen lassen wollte, musste die Klageschrift mit sämtlichen Anlagen zunächst ins Englische übersetzt und im Ausland zugestellt werden. Nach Zustellung der ins Englische übersetzten Klageschrift sowie sämtlicher prozessleitender Verfügungen bestellte sich derselbe Anwalt, der zuvor die Zustellung nicht gegen sich gelten lassen wollte, zum Prozessbevollmächtigten der Beklagten für das Klageverfahren. Durch dieses Prozedere waren nicht unerhebliche Dolmetscherkosten entstanden sowie eine Verzögerung des Rechtsstreits von neun Monaten eingetreten.

Das Landgericht Bielefeld holte in Folge ein technisches Gutachten bei einem Sachverständigen für aktive Implantate ein, der zu dem Ergebnis kam, dass mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 8 – 10 % für den streitgegenständlichen Defibrillator das Risiko gegenüber vergleichbaren, im Jahr 2002 üblichen Defibrillatoren signifikant erhöht war. Diese Risikoerhöhung, die sich für den Anwender (die Ärzte) als Fehlfunktion im Sinne einer vorzeitigen Batterieerschöpfung darstellte, blieb hinter dem im Jahr 2002 erwarteten technischen Standard zurück.

Noch während der laufenden Begutachtung erhob der Anwalt der Beklagten ein Befangenheitsgesuch gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen im Wesentlichen mit dem Argument, dieser sei in einem anderen Rechtsstreit als Parteigutachter gegen eine Schwestergesellschaft der hiesigen Beklagten aufgetreten; in jenem anderen Rechtsstreit ginge es auch um einen Defibrillator. Das Oberlandesgericht Hamm als Beschwerdegericht wies das Befangenheitsgesuch zurück (Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 02.05.2014, 1 W 20/14 und 1 W 21/14).

Während es in unserem Rechtsstreit um eine vorzeitige Batterieerschöpfung ging, war in jenem anderen Rechtsstreit der Frage nach einem Isolationsfehler einer elektrischen Leitung nachzugehen. Es gab also keine thematischen Überschneidungen. Durch das Befangenheitsgesuch der Beklagten wurde der Rechtsstreit nochmals um zehn Monate verzögert.

Nachdem dann aber der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten fertigstellen konnte (durfte), fand auf Beklagtenseite ein Anwaltswechsel statt. Die neuen Rechtsanwälte traten an uns mit der Frage einer einvernehmlichen Regelung heran. Der Beklagten schwebte eine Abfindungszahlung in Höhe von 19.000,- Euro vor. Jedoch waren für den Rechtsstreit schon so hohe Gerichts-, Sachverständigen-, Dolmetscher- und Anwaltskosten entstanden, dass sich die Klageforderung zwischenzeitlich fast verdoppelt hatte. Insbesondere mussten die Zinsen auf die Klageforderung für einen Zeitraum von 4,5 Jahren adäquat berücksichtigt werden. Nach kurzen Verhandlungen einigten wir uns auf eine Abfindungszahlung in Höhe von 28.300,- Euro. Im Gegenzug wurde die Klage vor dem Landgericht Bielefeld im März 2016 zurückgenommen (Landgericht Bielefeld, 8 O 313/11 und 9 O 13/13).

Anmerkung:
Zu dem prozesstaktischen Vorgehen des die beklagte Medizinproduktherstellerin zuerst vertretenden Rechtsanwalts mag sich jede(r) sein eigenes Urteil bilden. Jedoch zeigt auch dieser Fall sehr deutlich, dass es sich bei Medizinschadenfällen um zumeist vielschichtige und oft langwierige sowie kostspielige Angelegenheiten handeln kann, die ein entsprechendes Durchhaltevermögen der Anspruchstellerseite voraussetzen, letztlich aber zu einem guten Ergebnis führen können.