14.09.2020 – Klage wegen Auskunft nach Informationsfreiheitsgesetz
Klage
der Dr. Marion Rosenke, Kättkenstr. 10, 33790 Halle / Westf.
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
vertreten durch daselbst
g e g e n
die Bundesrepublik Deutschland, vorliegend repräsentiert durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, vertreten durch Herrn Minister Horst Seehofer, ebda.
- Beklagte -
wegen Auskunft nach Informationsfreiheitsgesetz.
Streitwert: € 5.000,- gemäß § 52 II GKG
Hiermit erhebe ich Klage und werde im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragen, die Beklagte zu verurteilen,
1. Auskunft zu erteilen, nach welchen Kriterien sie die Experten, welche das Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" als Mitautoren erarbeitet haben, ausgewählt hat;
2. Auskunft zu erteilen, mit welchem (mündlichen oder schriftlichen) Auftrag sie jeweils die Experten, welche das Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" als Mitautoren erarbeitet haben, mandatiert hat;
3. Auskunft zu erteilen, zu welchen Konditionen sie die Experten, welche das Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" als Mitautoren erarbeitet haben, mandatiert hat;
4. Auskunft zu erteilen, zu welchem Zeitpunkt sie jeweils die Experten, welche das Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" als Mitautoren erarbeitet haben, mandatiert hat;
5. Auskunft zu erteilen, welcher Mitautor des Strategiepapiers "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" welchen Abschnitt erarbeitet hat;
6. Auskunft zu erteilen, an welche Bundes- oder Landesbehörden, Institutionen, Medienanstalten oder Privatpersonen sie das erarbeitete Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" wann, mit welchem Begleitschreiben oder (mündlicher oder schriftlicher) Empfehlung oder Anweisung zur Kenntnis gebracht hat.
Begründung:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die im vorgenannten Umfang dargestellten Auskünfte auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes, § 1 Abs. 1 S. 1 IFG i. V .m. § 113 Abs. 5 VwGO.
I. Sachverhalt
Im Zuge der ausgerufenen Corona-Pandemie stieß die Klägerin bei Internet-Recherchen auf ein Dossier mit dem Titel "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen", welches den Vermerk "VS – Nur für den Dienstgebrauch" trug.
Beweis: bmi-corona-strategiepapier (Anlage K 1)
Dieses Dossier ist in mehrere Abschnitte untergliedert, die die Titel
1. Lage und Strategie
2. Modellrechnung und Strategiefindung
3. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen
4. Schlussfolgerungen für Maßnahmen und offene Kommunikation
tragen. Unter dem Abschnitt 4 "Schlussfolgerungen für Maßnahmen und offene Kommunikation" heißt es zu Beginn:
"4 a. Worst case verdeutlichen!
Wir müssen wegkommen von einer Kommunikation, die auf die Fallsterblichkeitsrate zentriert ist. Bei einer prozentual unerheblich klingenden Fallsterblichkeitsrate, die vor allem die Älteren betrifft, denken sich viele dann unbewusst und uneingestanden: "Na ja, so werden wir die Alten los, die unsere Wirtschaft nach unten ziehen, wir sind sowieso schon zu viele auf der Erde, und mit ein bisschen Glück erbe ich so schon ein bisschen früher". Diese Mechanismen haben in der Vergangenheit sicher zur Verharmlosung der Epidemie beigetragen.
Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden: 1. Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.
2. "Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden": Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z. B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z. B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.
3. Folgeschäden: Auch wenn wir bisher nur Berichte über einzelne Fälle haben, zeichnen sie doch ein alarmierendes Bild. Selbst anscheinend Geheilte nach einem milden Verlauf können anscheinend jederzeit Rückfälle erleben, die dann ganz plötzlich tödlich enden, durch Herzinfarkt oder Lungenversagen, weil das Virus unbemerkt den Weg in die Lunge oder das Herz gefunden hat. Dies mögen Einzelfälle sein, werden aber ständig wie ein Damoklesschwert über denjenigen schweben, die einmal infiziert waren. Eine viel häufigere Folge ist monate- und wahrscheinlich jahrelang anhaltende Müdigkeit und reduzierte Lungenkapazität, wie dies schon oft von SARS-Überlebenden berichtet wurde und auch jetzt bei COVID-19 der Fall ist, obwohl die Dauer natürlich noch nicht abgeschätzt werden kann.
Ausserdem sollte auch historisch argumentiert werden, nach der mathematischen Formel: 2019 = 1919 + 1929"
(Hervorhebungen von Verf.)
Dieses Dossier wies weder einen Briefkopf, noch ein Datum, noch einen verantwortlich Zeichnenden auf, es wurde aber von verschiedenen Quellen der Beklagten zugeschrieben. Aufgrund des für die Klägerin erschütternden, teilweise auch ungeheuerlichen Inhalts (dazu mehr unter Ziffer II.3.) sowie aufgrund der Tatsache, dass bei Diskussion mit interessierten Menschen niemand sicher war, ob es sich vielleicht nur um "Fake-Dokument" handele, wollte die Klägerin Klarheit erzielen und erbat bei der Beklagten mit Email vom 23.04.2020 Auskunft zur Echtheit des Dossiers sowie zu den Autoren.
Beweis: Email Dr. Rosenke vom 23.04.2020 (Anlage K 2)
Die Beklagte bestätigte mit Email vom 30.04.2020 die Authentizität des Strategiepapiers und teilte mit, dass sie vor weiterer Antwort Dritte anhören müsse.
Beweis: Email der Beklagten vom 30.04.2020 (Anlage K 3)
Gleichzeitig verwies sie auf die Internetpräsenz des Bundesinnen-ministeriums, wo das Strategiepapier veröffentlicht sei. Es stellte sich heraus, dass mit Datum vom 28.04.2020 das Strategiepapier, welches von da an den Namen "Szenarienpapier" trug, öffentlich zugänglich gemacht worden war. Interessanter Weise trug das Szenarienpapier nicht mehr den Vermerk "VS – Nur für den Dienstgebrauch".
Beweis: szenarienpapier-covid-19 (Anlage K 4)
Mit Email vom 09.06.2020 übermittelte die Beklagte ihren Bescheid vom selben Tag, mit welchem sie die Autoren des Strategiepapiers benannte. Es handelt sich hierbei um Herrn Prof. Dr. Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, um Herrn Dr. Hubertus Bardt vom Institut der Wirtschaft Köln, um Herrn Prof. Dr. Heinz Bude der Universität Kassel, um Herrn Roland Döhrn vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, um Herrn Prof. Dr. Michael Hüther vom Institut der Wirtschaft Köln, um Herrn Otto Kölbl der Universität Lausanne, um Herrn Dr. Maximilian Meyer der University of Nottingham China (UNNC) sowie um Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
Beweis: Bescheid der Beklagten vom 09.06.2020 (Anlage K 5)
In dem Bescheid wurde erläutert, dass das Szenarienpapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" durch externe Wissenschaftler erarbeitet worden sei. Die Mitautoren hätten jeweils andere Abschnitte erarbeitet. Diese Erläuterung führte bei der Klägerin zu Verwunderung, weshalb sie sich veranlasst sah, eine weitere Email mit Anschlussfragen folgenden Inhalts an die Beklagte zu richten:
"… für Ihre Antwort vom 09.06.2020 bedanke ich mich. Ich hätte erwartet, dass es sich bei der Erarbeitung des „Szenarienpapiers“ alias „Strategiepapiers“ um ein konsensuales Verfahren mit wissenschaftlichem Disput gehandelt hätte, jedoch entnehme ich Ihrer Antwort, dass die jeweiligen Mitautoren – wohl unabhängig voneinander (?) – jeweils eigene Abschnitte verfasst haben, die man (wer?) sodann zu einem „Papier“ zusammengeführt hat? Bitte korrigieren Sie mich, sollte dieser Eindruck täuschen.
Es stellen sich folgende Anschluss-Fragen, um deren kurzfristige Beantwortung ich höflichst bitte:
- Welcher Abschnitt des „Strategiepapiers“ wurde von welchem Mitautor verfasst? (Synopse Autor-Abschnitt)
- Nach welchen Kriterien hat das BMI die Mitautoren ausgesucht?
- Wie lautete der genaue Auftrag an die Mitautoren seitens des BMI? (Bitte nach Autoren aufgeschlüsselt, sollten dem mehrere / unterschiedliche Aufträge zugrunde liegen)
Beweis: Email Dr. Rosenke vom 23.06.2020 (Anlage K 6)
Mit Email vom 07.07.2020 teilte die Beklagte mit, dass die gewünschte Synopse Autor-Abschnitt dort nicht vorläge und dass es keinen (schriftlichen) Auftrag seitens des BMI gäbe. Es hätte sich um Pro Bono Beiträge der Experten gehandelt.
Beweis: Email der Beklagten vom 07.07.2020 (Anlage K 7)
Diese Antwort führte bei der Klägerin zu noch größerer Verwunderung, weshalb sie sich wiederum veranlasst sah, die Beklagte mit nachfolgend zitierter Email zu kontaktieren:
" … für Ihre Antwort vom 07.07.2020 bedanke ich mich, jedoch wird es sich dabei inhaltlich um ein Versehen handeln! Losgelöst von der Tatsache, dass ich drei Fragen gestellt hatte und nur zwei Antworten erhalten habe, würde der Inhalt Ihrer genannten Email Folgendes bedeuten:
- Im Bundesinnenministerium interessiert man sich nicht für die Person (im Kontext Synopse „Abschnitt-Mitautor“), die an einer solch exorbitant wichtigen und mit weitreichenden Folgen verbundenen Erstellung eines „Szenarienpapiers“ alias „Strategiepapiers“ beteiligt ist? Wie soll denn dann die Expertise der Person / des Mitautors in Bezug auf den jeweiligen Abschnitt überprüft werden? Ich gehe von einer versehentlichen Fehl-Information in Ihrer jüngsten Email aus und erwarte eine kurzfristige Beantwortung meiner Fragen vom 23.06.2020.
- Wäre es üblich, dass vom Bundesinnenministerium aus mündliche Aufträge in einer solch exorbitant wichtigen und die gesamte Bevölkerung Deutschlands betreffenden Angelegenheit erteilt werden? Oder wie soll die Aussage, dass es keine (schriftlichen) Aufträge gibt, verstanden werden? Oder soll die Aussage gar dahin verstanden werden, dass das „Strategiepapier“ ohne jegliche Initiative des Bundesinnenministeriums zustande gekommen ist? Dann würden die jeweiligen Autoren ja nicht nur über eine außergewöhnliche Expertise in ihrem jeweiligen Fachgebiet, sondern auch noch über außerordentliche telepathische Fähigkeiten verfügen, mithilfe derer sich quasi „wie von Zauberhand“ ein solches Papier zusammenfügt. Ich gehe auch in dieser Hinsicht von einer versehentlichen Fehl-Information in Ihrer jüngsten Antwort aus.
Beweis: Email Dr. Rosenke vom 16.07.2020 (Anlage K 8)
Die Beklagte verweigerte mit Email vom 29.07.2020 weitere Auskunft, weil nach ihrer Auffassung vollständig Auskunft erteilt worden sei. Auf weitere Erläuterungen wie mit klägerischer Email vom 16.07.2020 erbeten bestünde kein Anspruch.
Beweis: Email der Beklagten vom 29.07.2020 (Anlage K 9)
Die Klägerin widersprach dieser Rechtsauffassung mit Email vom 04.08.2020, insbesondere auch deshalb, weil es sich bei der Email vom 16.07.2020 nicht um ein eigenständiges Auskunftsersuchen, sondern um eine Erinnerungs-Email gehandelt hatte und die mit Email vom 23.06.2020 gestellten Anschlussfragen immer noch unbeantwortet seien. Die Klägerin bat um Erlass eines rechtshilfefähigen Bescheids über ihren (Zweit-)Antrag vom 23.06.2020 mit ausführlicher Begründung und Rechtsmittelbelehrung.
Beweis: Email Dr. Rosenke vom 04.08.2020 (Anlage K 10)
Hierauf antwortete die Beklagte nicht mehr, weshalb sich die Klägerin am 07.09.2020 telefonisch nach dem Sachstand erkundigte. Die Mitarbeiterin der Beklagten brachte unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Klägerin keine Antwort mehr zu erwarten bräuchte; man habe vollumfänglich Auskunft erteilt.
Beweis im Bestreitensfalle:
Zeugnis der Ines Drechsler, zu laden über die Beklagte
II. Rechtliche Würdigung
1. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG hat jeder gegenüber den Behörden des Bundes Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Nach § 2 Nr. 1 IFG versteht man unter einer amtlichen Information jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Schon unter diesem Aspekt ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte das (ergänzende) Auskunftsersuchen vom 23.06.2020 nicht beantworten möchte. Sie stellt auch nicht einmal die Gründe der Ablehnung dar, wofür sie darlegungs- und beweisbelastet ist. Dass einer der Kataloggründe des § 3 IFG vorliegend greift, ist weder ersichtlich noch dargetan. Die Mitautoren des Strategiepapiers, welche zu Beginn angehört wurden, haben ihr Einverständnis zur Auskunftserteilung erteilt; dies ist der Email-Korrespondenz zu entnehmen. Dass es sich bei der Erarbeitung eines solchen Strategiepapiers, welches seit dem 28.04.2020 auf der amtlichen Seite des Bundesinnenministeriums veröffentlicht ist, um eine amtliche Information im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG handelt, dürfte unstreitig sein.
2. An der Auskunfterteilung wie mit dieser Klage beansprucht hat aber nicht nur die Klägerin ein berechtigtes Interesse, sondern es wäre sicherlich nicht vermessen zu behaupten, dass daran auch ein überragend öffentliches Interesse besteht. Die Auswirkungen und die Kollateralschäden des Lockdowns (vgl. etwa die KM4-Krisenanalyse für kritische Infrastrukturen, welche im Bundesinnenministerium erarbeitet wurde)
vgl.: Kurzfassung der KM4-Krisenanalyse (Anlage K 11)
sind bekannt und gerichtsbekannt. Sie werden mittlerweile auch von zwei außerparlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet.
vgl.: www.acu2020.org
corona-ausschuss.de
Wenn der Staat mithin durch im Nachhinein in das Infektions-schutzgesetz aufgenommene Ermächtigungsnormen (§§ 5, 5a, 28 IfSG) und entsprechender Landesverordnungen wesentliche Grundrechte von 83 Mio. Bundesbürger/-innen beschneidet, wenn er alte, kranke, hilfsbedürftige Menschen in Alten- und Pflegeheimen faktisch unter Isolationshaftbedingungen setzt, (wirtschaftliche) Existenzen ruiniert und gezielt Urängste bei Kindern schürt, so ist er für die Erforderlichkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit derartiger Zwangsmaßnahmen nicht nur darlegungs- und beweisbelastet, sondern gegenüber der Bevölkerung rechenschaftspflichtig, und zwar in einem Ausmaß, das jegliche Wissenslücke und jegliche Unklarheit beseitigt.
3. Ein Auskunftsanspruch leitet sich zudem unter nachfolgendem Aspekt ab, insbesondere im Hinblick auf den Klageantrag zu 6):
In den vergangenen Monaten wurde evident, dass die im Strategiepapier zur Verdeutlichung des "worst case" genannte Kommunikationsstrategie nicht nur umfassend umgesetzt wurde, sondern auch durchschlagende Wirkung erzielte. So hatte etwa der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, nur um auch ein internationales Beispiel zu zitieren, Ende März 2020 verlautbaren lassen: "Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona verstorben ist." Diese steile Hypothese hat sich nicht realisiert. Die Klägerin wagt nachfolgende Gegenthese aufzustellen:
"Heutzutage kennt jeder ein Kind, welches verstört, psychisch dekompensiert oder destabilisiert ist und / oder sich vornehmlich als Gefährder für seine Mitmenschen, insbesondere für seine Eltern und Großeltern wahrnimmt."
Einem offenen Brief von 130 ÄrztInnen an die Ministerin für Schule und Bildung in NRW vom 04.08.2020 ist zu entnehmen, dass die aktuellen Maßnahmen zum "Infektionsschutz" bei Kindern massiv die in den letzten Monaten ohnehin in besorgniserregendem Maße entstandenen Angststörungen verstärken. Die unterzeichnenden ÄrztInnen berichten von einer wachsenden Zahl von Kindern mit Anzeichen der Überforderung durch die ihnen aufgebürdeten Verhaltensregeln und die Verantwortungslast für das Leben ihrer geliebten Angehörigen. Die Kinder reagieren mit Angst vor eigenem Erkranken und Sterben ebenso wie vor dem ihrer Lieben, sie entwickeln Schlafstörungen und Verhaltensstörungen wie Waschzwänge. Eine Berührung ist für viele zur Bedrohung geworden. Dies hat verheerende Folgen (so wörtlich!) für ihre gesamte Beziehungsentwicklung und ihr Beziehungsverständnis. Bindungsstörungen liegen auf der Hand.
Beweis: Offener Brief von 130 ÄrztInnen an die Ministerin für Schule und Bildung in NRW vom 04.08.2020 (Anlage K 12)
Im Hinblick auf die Kommunikation durch Medien und Politik ist folgendes nachzulesen:
"Nicht zuletzt sind die psychoimmunologischen Folgen und die anhaltende Verwendung von angsterzeugenden Bedrohungsszenarien durch Medien und Politik in dieser Krise für Kinder, Eltern und die Bevölkerung insgesamt katastrophal. Statt gerade Kinder ihre Stärke in Bezug auf diese Erkrankung erleben zu lassen, werden sie geschwächt und verängstigt. Gesunde Kinder können mit dem Durchleben dieser Erkrankung relevant zum Schutz ihrer Mitmenschen beitragen. …"
Ebenso wie es sich bei der 6. Sitzung des außerparlamentarischen Corona-Untersuchungsausschusses vom 31.07.2020 herausstellte,
vgl.: corona-ausschuss.de/sitzung6
gehen Kinderärzte von fatalen Auswirkungen der Coronamaßnahmen für die Salutogenese von Kindern aus.
Beweis: Positionspapier Kinderärzte gegen falsche Coronamaßnahmen (Anlage K 13)
In diesem Positionspapier ist ebenfalls von einer Zunahme neuer (sic!) Angst-, Schlaf- und Zwangsstörungen bei Kindern (sowie bei Eltern) nachzulesen. Nicht adäquate oder mit Angst vermittelte Hygienemaßnahmen führen gehäuft zu entsprechenden psychischen Belastungen. Auch Abstandsregeln führen am falschen Ort und zur falschen Zeit zu zwischenmenschlichen Verhaltensstörungen. Die Autoren dieses Positionspapiers fordern eine ausgewogene, rationale, multiperspektivische Berichterstattung in den Medien, die mehr auf die Aufklärung mündiger Bürger setzt als auf das Schüren diffuser Ängste. Um Angstentstehung und Verunsicherung bei Kindern und Jugendlichen zu vermeiden, müssen bei der Vermittlung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen psychoimmunologische und entwicklungspsychologische Faktoren berücksichtigt werden. Eine gesunde Psyche stärkt das Immunsystem und jedes Kind braucht eine altersentsprechende Ansprache.
Die hier bei weitem nicht abschließend zitierten fachkundigen Stellungnahmen skizzieren das krasse Gegenteil von dem, was in dem Strategiepapier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" als Kommunikationsstrategie propagiert wird.
Weil in dem Strategiepapier auch von einer "gewünschten Schockwirkung" die Rede ist, könnte man bei unbedarfter Lesart sogar den Eindruck gewinnen, als wäre eine Traumatisierung der Bevölkerung und insbesondere von Kindern und Jugendlichen das gewünschte Ziel. Darin jedenfalls läge eine Gesundheitsschädigung, welche als Störung der geistigen, körperlichen oder seelischen Lebensvorgänge oder als Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands unabhängig davon, ob Schmerzen oder eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit auftreten, definiert wird (vgl. Palandt – Sprau, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 79. Aufl. 2020, § 823 RN 4 m.w.N.).
Mit der im Strategiepapier unverhohlen propagierten Schockstrategie wird die hiervon adressierte Bevölkerung zum (Manipulations-) Objekt staatlichen Handelns degradiert, was der Menschenwürde zuwiderläuft, welche nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG jedoch unantastbar sein, ja vielmehr gemäß Satz 2 dieses Artikels von aller staatlichen Gewalt geachtet und geschützt werden sollte! Die Verfasser des Strategiepapiers sowie alle an dessen Verbreitung Beteiligten hingegen bringen eine autoritär-antidemokratische Grundhaltung sowie ein menschenverachtendes Menschenbild zum Ausdruck, weshalb schon allein deswegen eine schonungslose Aufklärung wie mit dieser Klage begehrt unabdingbar ist.
Losgelöst von § 1 Abs. 1 S. 1 IFG als Anspruchsgrundlage leitet sich wegen der soeben dargestellten Gesamtumstände eine umfassende Auskunfts- und Rechenschaftspflicht der Beklagten aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ab. Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Art. 20 Abs. 1 – 3, Art. 19 Abs. 4 S. 1, Art. 1 Abs. 1 – 3 GG.
4. Die Klägerin hält die Einlassung der Beklagten gemäß Email vom 07.07.2020, dass es keine Synopse Autor-Abschnitt im Bundesinnenministerium gäbe, für nicht tragfähig. Nach menschlichem Ermessen ist das Zustandekommen des Strategiepapiers – solange sich die Beklagte derart in Schweigen hüllt – nicht erklärbar.
Die Klägerin ist aber zudem davon überzeugt, dass es sehr wohl eine Mandatierung seitens der Beklagten an die einzelnen Experten gab und tritt hierfür Beweis an durch:
1. Zeugnis des Horst Seehofer, zu laden über die Beklagte
2. Zeugnis des Prof. Dr. Boris Augurzky, zu laden über das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Hohenzollernstr. 1 – 3, 45128 Essen
3. Zeugnis des Dr. Hubertus Bardt, zu laden über das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln
4. Zeugnis des Prof. Dr. Heinz Bude, zu laden über die Universität Kassel, Mönchebergstr. 19, 34109 Kassel
5. Zeugnis des Roland Döhrn, zu laden über das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Hohenzollernstr. 1 – 3, 45128 Essen
6. Zeugnis des Prof. Dr. Michael Hüther, zu laden über das Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln
7. Zeugnis des Otto Kölbl, zu laden über die Universität Lausanne, Faculté des lettres, Quartier UNIL-Chamberonne, Bâtiment Anthropole 4061.4, CH-1015 Lausanne
8. Zeugnis des Dr. Maximilian Meyer, zu laden über die University of Nottingham China (UNNC), 199 Taikang East Road Ningbo, 315100 China
9. Zeugnis des Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, zu laden über das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Hohenzollernstr. 1 – 3, 45128 Essen
Alternativ wäre denkbar, dass sich die Mitautoren des Strategiepapiers zunächst ohne Beteiligung der Beklagten zusammen-schlossen, das Dossier "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" erarbeiteten und erst danach an die Beklagte herantraten.
Dann aber wäre noch viel unerklärlicher, warum es im Bundesinnenministerium keine Synopse Autor-Abschnitt mit eingehender Überprüfung der Befähigung der einzelnen Experten sowie eigener wissenschaftlicher Überprüfung des von extern "vorgegebenen" Strategiepapiers geben sollte. Das macht gar keinen Sinn.
Letztlich ist die Klägerin weiterhin davon überzeugt, dass die externen Experten nicht pro bono tätig wurden, und bietet hierfür
Beweis wie vor
an. Eine pro bono-Tätigkeit wäre nicht nur unüblich, sondern auch allein deshalb überprüfungswürdig, weil damit ein Verdacht einer anderweitigen, ggf. erst künftigen Vorteilsgewährung oder –verschaffung zumindest nicht a priori von der Hand zu weisen ist. Bis zum Beweis des Gegenteils stellt die Klägerin in Abrede, dass die genannten externen Experten aus rein altruistischen Gründen für die Beklagte tätig geworden sind.
III. Prozessuales
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass mit dem Bescheid vom 09.06.2020, welcher keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, alle Fragen "abgegolten" seien. Diese Ansicht ist verfehlt, weil die hier streitgegenständlichen, aus der Email der Klägerin vom 23.06.2020 resultierenden Fragen gerade nicht beantwortet, sondern noch offen sind. Ein rechtsmittelfähiger Bescheid wurde nicht erlassen, ein Widerspruchsverfahren mithin nicht durchgeführt. Ein solches ist nach § 9 Abs. 4 S. 1 IFG zwar vorgesehen, aber aufgrund des intransparenten Verhaltens der Beklagten in realiter nicht durchführbar.Die Dreimonatsfrist des § 75 S. 2, 1. HS VwGO ist vorliegend nicht einzuhalten, weil die Beklagte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, auf das Auskunftsersuchen der Klägerin vom 23.06.2020 nicht zu antworten. Ein weiteres Zuwarten wäre bloße Förmelei.
Die Klageanträge zu 1), 2) und 5) entsprechen dem Auskunftsersuchen gemäß Email vom 23.06.2020. Die Klageanträge zu 3), 4) und 6) sind neu, aber gleichwohl zulässig. Denn es darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beklagte, würde sie mit diesen Fragen außergerichtlich konfrontiert, in gleicher Weise darauf reagieren würde wie gegenüber der Klägerin mit den Fragen zu 1), 2) und 5) geschehen. Aus Gründen der Prozessökonomie sind diese neuen Anträge zuzulassen, zumal sie die vorprozessual schon gestellten Fragen lediglich präzisieren.
Sollte das erkennende Gericht die Klageanträge zu 3), 4) und 6) gleichwohl als unzulässig erachten, wird höflich ein richterlicher Hinweis erbeten. Für diesen Fall wird die Klägerin sofort entsprechende außergerichtliche Auskunftsersuchen an die Beklagte richten und danach – wegen zu erwartender Ablehnung seitens der Beklagten – ein weiteres Klageverfahren anhängig machen.
Weiterhin beantragt die Klägerin gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO, der Beklagten aufzugeben,
sämtliche Urkunden, Akten und elektronischen Dokumente im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Strategiepapiers "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" zur Gerichtsakte zu reichen, damit alle Prozessbeteiligten darin Einsicht nehmen können.
Dr. Rosenke
Fachanwältin für Medizinrecht