Defekter Herzschrittmacher: Krankenkasse verlangt Kosten der Austauschoperation zurück
In diesem, beim Landgericht Bielefeld und zuletzt beim Oberlandesgericht Hamm anhängigen Verfahren vertrete ich eine gesetzliche Krankenkasse, die Schadenersatz aus übergegangenem Recht wegen eines erforderlich gewordenen Herzschrittmacherwechsels bei einer ihrer Versicherten verlangt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Versicherte meiner Mandantin erhielt im Oktober 1999 einen Herzschrittmacher wegen AV-Blocks III. Grades implantiert. Es handelte sich um einen Schrittmacher des Modells Meridian, welcher von der damals noch als Guidant Corporation firmierenden Herstellerin über eine in Deutschland ansässige Vertriebsgesellschaft in den europäischen Wirtschaftsraum importiert wurde. Im Jahr 2005 veröffentlichte diese Vertriebsgesellschaft einen Sicherheitshinweis, in dem nachzulesen ist, dass ein in den darin genannten Geräten verwendetes Bauteil zur hermetischen Versiegelung möglicherweise einem sukzessiven Verfall unterliegt. Dies könne zu einer vorzeitigen Batterieerschöpfung mit Verlust der Telemetrie und / oder dem Verlust der Stimulationstherapie ohne Vorwarnung oder zu einer unangemessenen Akzelerometer-Funktion führen. Die Vertriebsgesellschaft und spätere Beklagte wies darauf hin, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, einen Test zu bestimmen, der ein entsprechendes künftiges Versagen der Geräte prognostizierte. Sie empfahl den Ärzten, bei herzschrittmacherabhängigen Patienten einen Austausch zu erwägen. Dieses Sicherheitsinformationsschreiben habe ich als Rückrufaktion gewertet.
Wegen des veröffentlichten Warnhinweises wurde bei der Versicherten meiner Mandantin im Oktober 2005 ein Aggregatwechsel vorgenommen.
Die Kosten dieser Austauschoperation verlangte meine Mandantin mit einer beim Landgericht Bielefeld im Jahr 2008 eingereichten Klage von der deutschen Vertriebsgesellschaft (Herstellerin im Sinne des Produkthaftungsgesetzes) zurück. Das Landgericht Bielefeld wies die Klage jedoch ab (18 O 14/08).
Hiergegen legte ich für die Krankenkasse Berufung zum Oberlandesgericht Hamm ein, welches der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im Oktober 2010 im Wesentlichen stattgab. Die Kosten der Austauschoperation musste die Beklagte erstatten. Nach dem Urteil des Oberlandesgericht Hamm hat meine Mandantin einen Zahlungsanspruch gem. § 1 Absatz 1 Satz 1 Produkthaftungsgesetz i.V.m. § 116 Absatz 1 Sozialgesetzbuch X aus übergegangenem Recht, weil der streitgegenständliche Herzschrittmacher einen Produktfehler im Sinne des § 3 Produkthaftungsgesetz aufwies.
Nach dieser Vorschrift hat ein Produkt einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die der Verkehr unter Berücksichtigung aller Umstände im Zeitpunkt des Inverkehrbringens erwarten kann. Grundsätzlich muss ein Produkt deshalb im Hinblick auf Konstruktion, Fabrikation und Instruktion so beschaffen sein, dass es die körperliche Unversehrtheit nicht beeinträchtigt. Maßstab sind die berechtigten Erwartungen, die ein Endverbraucher nach der Verkehrsauffassung an die Sicherheit des Produkts stellen kann. Diese Sicherheitserwartungen, die der Verkehr berechtigterweise an einen bestimmten Gegenstand richtet, sind nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Der vom Oberlandesgericht Hamm beauftragte Sachverständige hat ausgeführt, dass das Herstellungsverfahren des Herzschrittmachers so kompliziert sei, dass es störanfällig sei. Diese Störanfälligkeit hat dazu geführt, dass in bestimmten Geräten identifizierter Modelluntergruppen ein Fehler am Bauteil zur hermetischen Versiegelung aufgetreten ist, sodass dieses Bauteil einem sukzessiven Verfall unterlag. Damit lag ein Produktfehler vor. Es kam nicht entscheidend darauf an, dass das speziell auch bei dem der Versicherten explantierten Herzschrittmacher verwendete Bauteil zur hermetischen Versiegelung einem sukzessiven Verfall unterlag und zu einem Funktionsausfall gerade dieses Herzschrittmachers geführt hätte (dieser Punkt war zwischen den Parteien des Rechtsstreits streitig), weil es genügt, dass der zu beurteilende Herzschrittmacher zu einer Modelluntergruppe gehört, die eine nicht zu vertretende Fehlerhäufigkeit aufwies. Der Sachverständige hatte weiterhin dargestellt, dass der implantierte Herzschrittmacher aufgrund der prognostizierten Fehlerwahrscheinlichkeit in jedem Fall vorzeitig hätte ausgetauscht werden müssen, selbst wenn das zu beurteilende Gerät in Ordnung gewesen sein sollte. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls des Dichteelements bei der Modelluntergruppe, zu der der Herzschrittmacher gehörte, sei 17 - 20 Mal höher als bei Herzschrittmachern üblich. Nach Auffassung des OLG Hamm boten die Herzschrittmacher dieser Modelluntergruppe deshalb nicht die Sicherheit, die der Verkehr unter Berücksichtigung aller Umstände im Zeitpunkt des Inverkehrbringens erwarten durfte. Es wurde weiterhin festgestellt, dass das innerhalb der identifizierten Modelluntergruppen eingebaute Bauteil zur hermetischen Versiegelung nicht dem im Jahr 1999 geltenden und notwendigen Sicherheitsstandards entsprochen hatte. Es hätte vielmehr unter Berücksichtigung des Stands der Technik im Jahr 1999 so konstruiert und produziert werden können, dass der sukzessive Verfall des Bauteils auszuschließen gewesen wäre.
Dies ergab sich schon alleine daraus, dass die Herzschrittmacher der übrigen Modelluntergruppen desselben Herstellers die vorgenannte statistische Fehlerwahrscheinlichkeit nicht aufwiesen.
Weiterhin stellte das Oberlandesgericht Hamm fest, dass die Haftung der Beklagten nicht nach § 1 Absatz 2 Produkthaftungsgesetz ausgeschlossen war. Die Beklagte hatte nicht dargelegt, dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Herzschrittmachers im Jahr 1999 nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik das Risiko, dass die hier entscheidende Dichtung einem Zerfall unterliegen könnte, nicht erkennbar gewesen sei. Die Fehlereintrittswahrscheinlichkeit könne immer nur ex post beurteilt werden, nämlich nachdem bereits Fehler aufgetreten seien, entscheidend sei aber, ob Fehler an den Dichtungen objektiv nicht erkennbar gewesen waren. Dafür lagen keine Anhaltspunkte vor, wobei die Beklagte hierfür darlegungs- und beweispflichtig war. Zudem hatte die Beklagte nichts zur Ursache des sukzessiven Verfalls der Dichtungen vorgetragen, sondern sich auf das Qualitätsmanagementsystem des Herstellers zurückgezogen. Dies reichte dem Gericht nicht aus.
Der Anspruch meiner Mandantin auf Ersatz der Heilungskosten war nicht nach den Grundsätzen des Abzugs „neu für alt“ gemindert. Eine Vorteilsanrechnung ist bereits nicht zumutbar. Bei Gegenständen, auf die der Geschädigte zwingend angewiesen ist und die er am oder sogar wie hier im Körper trägt, wird ein Vorteilsausgleich allgemein als unzumutbar abgelehnt (OLG Hamm I-21 U 163/08).