Frau nach Routine-Eingriff ein Pflegefall

VON CHRISTIAN ALTHOFF UND VERENA INSINGER

Bückeburg/Petershagen. Es ist der Albtraum eines jeden Patienten: ein Behandlungsfehler. Für eine Frau aus Petershagen wurde der Albtraum bittere Realität. Die heute 49-Jährige wachte nach einer Schulteroperation im Krankenhaus Bethel nicht mehr aus der Narkose auf. Jetzt ist sie schwerstbehindert. Nach einem langen juristischen Tauziehen hat sich die Klinik zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 320 000 Euro bereit erklärt. Ihre Anwältin kämpft jetzt noch vor Gericht für die Erstattung weiterer medizinischer Folgekosten.

Die Operation liegt mittlerweile sieben Jahre zurück. Die Frau aus Petershagen hatte seit Jahren Schulterschmerzen. Ihr Mann drängte sie, eine Gelenkspiegelung machen zu lassen, eine sogenannte Arthroskopie. Der Eingriff sollte im Krankenhaus Bethel in Bückeburg in der sogenannten BeachChair-Lagerung vorgenommen werden. Dabei sitzt der narkotisierte Patient ähnlich wie beim Zahnarzt in einem Stuhl. Professor Dr. Ullrich H. Brunner von der „Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Chirurgie“ erklärt: „Diese Lagerung des Patienten hat zwei Vorteile: Zum einen ermöglicht die besondere Form des Stuhls, dass der Arzt von vorne und hinten an die Schulter herankommt. Zum anderen hat man den Patienten in seiner natürlichen Haltung vor sich und kann sich besser orientieren, als wenn er auf einem OP-Tisch in Seitenlage liegt.“

Eingriff quasi unter Wasser

Damit der Operateur bei der Gelenkspiegelung etwas sieht, wird das Gelenk ständig mit einer Art Kochsalzlösung durchspült, der Eingriff findet quasi unter Wasser statt. Weil Blut das Wasser undurchsichtig macht, kann der Anästhesist auf Wunsch des Operateurs den Blutdruck senken, sodass der Druck der Kochsalzlösung höher ist und die Flüssigkeit klar bleibt. Dies geschah auch bei der Frau aus Petershagen. Die 49-Jährige wachte nach der Arthroskopie nicht aus der Narkose auf. Sie wurde in die Neurologie des Klinikums Minden verlegt, wo ein Hirnschaden durch Sauerstoff-Unterversorgung festgestellt wurde. Dr. Marion Rosenke aus Halle (Westfalen), Spezialistin für Medizinrecht und Anwältin der betroffenen Frau: „Die Ursache des Hirnschadens, die uns ein medizinischer Gutachter später vor dem Landgericht Bückeburg erläutert hat, ist ganz simpel: Während des Eingriffs wurde der Blutdruck meiner Mandantin mit einer Manschette am Arm gemessen. Da die Frau aber nicht lag, sondern sich in der Beach-Chair-Stellung befand, war ihr Kopf deutlich höher als der Arm. Im Kopf herrschte also ohnehin schon ein niedrigerer Blutdruck, als vom Gerät angezeigt. Und als der Anästhesist den Druck auf Bitten des Arztes weiter gesenkt hat, wurde das Gehirn nicht mehr richtig versorgt.“ Der Gutachter erklärte, dass bei der Beach-Chair-Lagerung der Blutdruck im Gehirn 20 bis 25 Prozent niedriger sei, als am Arm gemessen. Das hätte der Anästhesist berücksichtigen müssen.

Schäden sind trotz Reha enorm

Dr. Marion Rosenke: „Die Patientin ist irgendwann wieder aufgewacht, aber die Schäden sind trotz Rehamaßnahmen enorm. Sie kann Arme und Beine kaum bewegen und sitzt fast immer im Rollstuhl. Sie hat Konzentrationsstörungen und kann ihre Situation nicht einschätzen. Wenn ich sie frage, wie es ihr geht, sagt sie ‚Prima!‘. Dabei steht sie unter gesetzlicher Betreuung und wird täglich zu Hause von einem Pflegedienst versorgt.“ Eine Krankenhaussprecherin sagte, das Schicksal der Patientin mache alle Mitarbeiter betroffen. Zumindest ist die Frau finanziell abgesichert: Im Dezember 2013 haben sich Krankenhaus und Patientin auf einen Vergleich geeinigt. Danach bekommt die Frau 320 000 Euro Schmerzensgeld. Das Geld habe die Frau bereits erhalten, sagte die Anwältin. Jetzt setzt sich Rosenke noch für die Erstattung weiterer materieller Schäden durch die Krankenhaus-Versicherung ein.