Leben ohne Baby Ronja

Von Jens Reichnbach

Bielefeld. Nur vier Wochen war Baby Ronja alt, als ihre Eltern Tanja und Dennis Blank ihre Tochter im September 2005 in die Kinderklinik geben mussten. Eine Verengung am Magenausgang verhinderte, dass Ronja genügend zu sich nahm. Ein Routineeingriff am Bauch, so hieß es, sollte Abhilfe schaffen. 22 Tage später war der Säugling tot. Die Ärzte hatten eine Komplikation übersehen, zu spät reagiert. Bis heute leiden Ronjas Eltern unter dem Verlust - wie auch ihr Zwillingsbruder Marlon.

»Die zweite OP erfolgte zu spät«

Petra Buddeberg, die Großmutter der Zwillinge, hatte als Altenpflegerin ein wenig medizinisches Wissen: "Ronjas Zustand hatte sich nach der OP täglich verschlechtert. Die Lütte war nach drei Tagen ganz bleich geworden, sie wimmerte richtig, ihr Kreislauf war kurz vor dem Zusammenbrechen." Sie warnte vor den Gefahren, die bei Komplikationen nach einer Operation auftreten können. Doch ihre Forderung, eine Gewissheit bringende Blutuntersuchung zu machen, wurde vom Klinik-Personal nicht erfüllt. Erst vier Tage nach der offenbar misslungenen OP reagierten die Ärzte.

»Das tut allen Beteiligten leid«

Laut dem späteren ärztlichen Gutachten war bei dem minimalinvasiven Eingriff die Wand von Ronjas Zwölffingerdarm beschädigt worden. Dadurch hatten sich Entzündungsherde im Körper des Frühchens ausgebreitet. Die notwendige zweite Öffnung des Bauchraums erfolgte laut Gutachten zu spät, zudem vergaß man, eine erforderliche Drainage zu legen. Trotz einer dritten OP konnten die Ärzte das Leben des Babys nicht mehr retten. Am 14. Oktober 2005 entschieden sie zusammen mit den Eltern, die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten.

Der Gutachter schrieb später, Ronja hätte "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überleben können" wenn die zweite OP früher durchgeführt worden wäre. Kliniksprecher Jens Garlichs nannte Ronjas Tod sehr tragisch. "So ein Fall tut allen Beteiligten, die ja täglich für das Leben von kranken Kindern kämpfen, fürchterlich leid." Dennoch habe die Staatsanwaltschaft nach den Vorermittlungen kein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eröffnet.

Die Blanks sind den Schmerz über den Tod ihrer Tochter bis heute nicht losgeworden, immerhin können sie heute erstmals darüber öffentlich reden. Mutter Tanja leidet noch heute unter Angstattacken, nach dem Tod klammerte sie sich an dem verbliebenen Zwillingsbruder Marlon. Die Familie drohte darunter zu zerbrechen. "Bei jedem Geburtstag von Marlon kommt alles wieder hoch", sagt Tanja Blank. Auch Marlons Einschulung war für die Familie eigentlich ein trauriger Tag. Denn auch Marlon trauert um die Schwester, die er nie hatte: "Warum kann ich nicht zu Ronja in den Himmel, um ihr zu sagen, wie lieb ich sie habe?", fragte der Sechsjährige. "Was sollen wir darauf antworten?" fragt der Vater unter Tränen.

Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden. Die Blanks denken inzwischen darüber nach, sich professionelle Hilfe zu holen. Auch weil Marlon noch eine Schwester bekommen hat. Doch die Wut ist geblieben - über den Arzt, der keinen Hinweis der Familie ernst genommen haben soll. Ober die Fehler, die ein Gutachter festgestellt hat, die aber keine Folgen hatten. Die Rechtsanwältin der Eltern, Marion Rosenke, Fachanwältin für Medizinrecht aus Halle, erstritt zumindest zivilrechtlich in einem Vergleich eine symbolische Zahlung in Höhe der Beerdigungskosten.

Angehörigen sei mit außergerichtlichen Einigungen meistens mehr geholfen, sagt sie. "Die Hürden für ein strafrechtliches Verfahren sind enorm hoch, und wenn es dazu kommt, dauern sie oft Jahre." Den Familien sei aber eher an einer symbolischen Genugtuung gelegen. Vater Dennis will mehr: "Wir wollen, dass dieser Arzt sich sein Verhalten nochmal vor Augen führt." "Und alle anderen sollen wissen, wie es im Krankenhaus laufen kann, wenn man alles abnickt und keine Fragen stellt", betont Ronjas Großmutter. Fachanwältin Rosenke bestätigt: "Ich höre immer wieder, dass eine gewisse klinikinterne Arroganz existiert, wenn jemand kritische Fragen stellt." Gerade deshalb rate sie, neben Grundvertrauen zu Ärzten stets auch gesundes Misstrauen mitzubringen.

INFO

Ratschlag für Patienten

Denken Sie daran, alle Entscheidungen und Beobachtungen im Krankenhaus zu dokumentieren, rät Medizin-Fachanwältin Marion Rosenke. Patienten müssen Vorwürfe später beweisen, damit sie vor Gericht Recht bekommen. Dazu gehöre die eigenhändige Dokumentation von Aufklärungsgesprächen, die Namen der Ärzte und Pfleger, als mögliche Zeugen auch die der Mitpatienten. Selbst Hygiene oder Personalmängel sollten konkret erfasst werden. (jr)