Meistens geht alles gut

Mehr als 40 Millionen Behandlungen, aber nur 1400 Beschwerden

Von Christian Althoff.

Halle (WB). Bei mehr als 40 Millionen Behandlungen im Jahr ist die Zahl der etwa 1400 Vermuteten Fehlbehandlungen, die der Gutachterkommission der Ärztekammer in Münster gemeldet werden, verschwindend gering. Meistens geht eben alles gut.

Allein die niedergelassenen Ärzte in Westfalen-Lippe haben im vergangenen Jahr etwa 40 Millionen Behandlungen durchgeführt, dazu kommen noch die Zahnbehandlungen, zu deren Zahl die Zahnärztekammer gestern keine Angaben machen konnte, und zwei Millionen Behandlungen in Krankenhäusern. »Allerdings kann hinter jedem dieser Fälle ein Patient stehen, der für den Rest seines Lebens die Folgen einer Fehlbehandlung ertragen muss«, sagt Dr. Marion Rosenke aus Halle (Kreis Gütersloh), Fachanwältin für Medizinrecht.

Wer meint, falsch behandelt worden zu sein, kann seinen Fall bei der 1977 eingerichteten Gutachterkommission Westfalen-Lippe in Münster klären lassen kostenlos. Voraussetzung ist, dass der betroffene Arzt einverstanden ist. 920 Ärzte stehen als Gutachter zur Verfügung. »Der Fall wird nach Aktenlage von zwei Ärzten des entsprechenden Fachs beurteilt. Sind sie unterschiedlicher Meinung, wird ein drittes Gutachten erstellt«, sagt Volker Heiliger, Sprecher der Ärztekammer. Laut Statut soll die Gutachterkommission Patienten die Durchsetzung ihrer Ansprüche und dem Arzt die Zurückweisung unbegründeter Vorwürfe erleichtern.

Oft werden auf Grundlage der Gutachten außergerichtliche Schmerzensgeldvergleiche geschlossen. Eine Studie im Jahr 2005 ergab, dass in 87 Prozent der Fälle der Streit mit Hilfe der Kommission außergerichtlich beigelegt werden konnte. Die meisten Fälle werden in weniger als einem Jahr entschieden.

Volker Heiliger, Sprecher der Ärztekammer. Das Angebot der Gutachterkommission wird überwiegend von Frauen genutzt, die im vergangenen Jahr 56 Prozent der Anträge gestellt haben. In 140 Fällen wurde die Gutachterkommission nicht tätig, weil die betroffenen Ärzte der Durchführung des Verfahrens widersprochen hatten. In nahezu ebenso vielen Fällen hatten Patienten während des Verfahrens das Interesse an der Klärung verloren, weshalb die Kommission ihre Arbeit eingestellt hatte.

Die Ärzte, die als Gutachter fungieren, nehmen für sich in Anspruch, unabhängig zu urteilen. »Das ist auch bestimmt in vielen Fällen so, aber leider nicht in allen«, sagt Anwältin Dr. Marion Rosenke. Sie beobachte seit geraumer Zeit, dass es immer mehr oberflächliche Gutachten gebe, die sich mit dem Kernvorwurf überhaupt nicht auseinandersetzten, sagt die Rechtsanwältin. »Ich habe gerade einen Fall auf dem Tisch, bei dem die Gutachten so an der Sache vorbeigehen, dass ich bei der Ärztekammer beantragen werde, die betroffenen Mediziner von der Gutachterliste zu streichen. «