Nach Fehldiagnose Brust amputiert

Verkäuferin aus Schloß Holte-Stukenbrock will Klinikum Bielefeld verklagen

Von Christian Althoff

Bielefeld (WB). »Ich wollte nicht sterben. Deshalb habe ich mir 2006 die linke Brust abnehmen lassen«, sagt Angelika F. (62): Heute steht fest: Die Frau ist Opfer einer Fehldiagnose geworden - sie hatte gar keinen Brustkrebs.

Die Verkäuferin aus Schloß Holte-Stukenbrock war regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gegangen. 2006 hatte ihr Gynäkologe sie ins Brustzentrum des Klinikums Bielefeld überwiesen, weil er einen Knoten in der linken Brust festgestellt hatte. Unter örtlicher Betäubung machten die Ärzte eine Stanzbiopsie und ließen das Gewebe in der Pathologie untersuchen. »Anschließend erklärten sie mir, ich hätte Brustkrebs«, sagt Angelika F.

Erst habe man den Knoten mit einer Chemotherapie verkleinern und dann brusterhaltend operieren wollen. Doch dieser Plan sei nach der 18-wöchigen Chemotherapie verworfen worden: »Die Ärzte sagten, die letzte Ultraschalluntersuchung habe ein diffuses Gewebe gezeigt. Wenn ich sichergehen wollte, sollte ich mir lieber die Brust abnehmen lassen.« Angelika F. stimmte zu. Bei der OP im September 2006 entfernten die Ärzte außerdem noch 13 Lymphknoten aus der linken Achsel, weil sich hier häufig Brustkrebsmetastasen bilden.

»Es war für mich sehr schwer, mir die Brust abnehmen zu lassen, aber ich wollte ja leben«, sagt die Verkäuferin - und ihre Entscheidung schien auch richtig gewesen zu sein: »Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hieß es: alle Werte im grünen Bereich!«Angelika F. hoffte, die Krankheit besiegt zu haben, aber es kam anders. Drei Jahre später fühlte sie Knoten in der rechten Brust. Diesmal ließ der Gynäkologe die Biopsie in einer Privatklinik machen, die das Gewebe zur Untersuchung an ein Institut in Kiel schickte. Das Ergebnis: Die rechte Brust war von Lymphdrüsenkrebs befallen. Den bekamen die Ärzte im Klinikum Bielefeld innerhalb von vier Monaten mit Chemotherapie in den Griff.

Doch dann zeigten sich Veränderungen an der OP-Narbe der linken Brust. Eine Untersuchung ergab, dass auch dieser Bereich von Lymphdrüsenkrebs befallen war. Nun wurden die Ärzte misstrauisch und ließen das 2006 entnommene Gewebe der linken Brust noch einmal untersuchen. Dabei zeigte sich, dass die Diagnose Brustkrebs damals falsch gewesen war: Auch die linke Brust war seinerzeit von Lymphdrüsenkrebs befallen - und der wird nicht durch Entfernung der Brust therapiert, sondern mit Chemo- und Stammzellentherapie.

»Es folgten schlimme Wochen und Monate«, erinnert sich Angelika F. Gegen den seit 2006 nicht richtig behandelten Krebs auf der linken Seite habe sie »eine Hammerladung« Chemotherapie bekommen, sagt die 62-Jährige. Außerdem sei sie zweimal in die Medizinische Hochschule Hannover verlegt worden, wo ihr Stammzellen für eine spätere Therapie entnommen worden seien. »Mir war unglaublich schlecht. Ich habe mich ständig übergeben und konnte nichts essen, nichts trinken.«

Die Frau hat die Behandlung inzwischen hinter sich, aber sie leidet bis heute unter den Folgen der überflüssigen OP von 2006. Nicht nur das Fehlen der Brust belastet sie psychisch und körperlich ganz erheblich. »Das Entfernen der Lymphknoten führt dazu, dass sich ständig Wasserablagerungen in meinem linken Arm bilden. Damit die nicht noch schlimmer werden, darf nicht in die Sonne und muss jede größere Anstrengung vermeiden.«

Die Verkäuferin ist deshalb inzwischen Frührentnerin mit einem Behinderungsgrad von 50 Prozent. Bis zu zweimal in der Woche lässt sie von einer Krankengymnastin eine Lymphdrainage durchführen. »Uns hat Überrascht und gefreut, dass sich die Ärzte zu ihrem Fehler bekannt und sich entschuldigt haben«. sagt Rolf F. (66). der Ehemann der Patientin. Das Klinikum Bielefeld hat der Frau im vergangenen Jahr die Fehldiagnose sogar schriftlich bestätigt. Öffentlich wollen sich das Klinikum und die Stadt Bielefeld als Trägerin des Krankenhauses nicht zu dem Fall äußern. Die Stadt weigert sich bis heute, Angelika F. Schmerzensgeld und Schadensersatz zu zahlen. »Das ist bei dieser klaren Sachlage völlig unverständlich«, sagt Dr. Marion Rosenke, Fachanwältin für Medizinrecht aus Halle. Sie hat im Auftrag der Patientin die Krankenunterlagen vom Institut für Hämatopathologie in Harnburg überprüfen lassen.

Der Gutachter kommt zu dem für Angelika F. wenig überraschenden Ergebnis, die Pathologie habe bei ihrer Untersuchung Hinweise, dass es sich eben nicht um Brustkrebs handelt, nicht erkannt. Die Diagnose Brustkrebs sei falsch, und die Entfernung von Brust und Lymphknoten sei eine Folge dieser Fehldiagnose gewesen. »Diese Expertise liegt der Stadt Bielefeld seit acht Wochen vor, aber sie reagiert nicht auf meine Schreiben«, sagt Dr. Marion Rosenke. Deshalb will die Anwältin jetzt Klage beim Landgericht Bielefeld einreichen. Sie fordert 93.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld. »Das Oberlandesgericht Hamm hat schon vor zehn Jahren einer Patientin 125.000 Euro für die Entfernung beider Brüste zugesprochen. Ich glaube, es ist für eine Frau sogar noch belastender, mit einer Brust zu leben, denn der Körper verliert dadurch ja seine Symmetrie.« Angelika F. hat lange überlegt, ob sie sich einem Arzt für plastische Chirurgie anvertraut. »Aber das wäre ein ziemlich großer Eingriff, und ich möchte nicht noch einmal unters Messer. Es bleibt jetzt so, wie es ist.«